"Lemures", Diptichon 2020

Combine Painting (Öl und Holzschnitt-Monotypie) auf Leinwand, 2 Tafeln je 70 cm x 100 cm

Combine Painting

Den Begriff "Combine Painting" oder auch "Combinepainting" kennen wir aus der Pop Art, die auch Kombinierte Malerei ist die von Robert Rauschenberg in Anlehnung an den Dadaismus und Surrealismus entwickelte Technik, auf abstrakte Gemälde dreidimensionale Gebrauchsgegenstände oder Fotoreproduktionen zu montieren. Armin Schanz hat diesen Begriff für sich vereinnahmt und in der Form abgewandelt eben zwei verschiedene Künstlerische Techniken miteinander zu kombinieren. Die erste Technik ist hierbei wie auch bei Rauschenberg die abstarkte, gestische Malerei. Die zweite Technik jedoch ist eine in der Kunstgeschichte sehr alte Kunstform, die  im deutschen Expressionismus, von welcher Schanz ein großer Bewunderer ist, ihrer absoluten Höhepunkt, besonders in der Expressivität erreicht hatte, der Holzschnitt. Der Holzschnitt ursprünglich dazu erdacht um Kunstwerke in einer Auflage herstellen zu können, verliert gerade dieses klassische Merkmal bei den Arbeiten von Schanz, er wird zum Unikat. 

Seine Combine Paintings erscheinen in 3 verschiedenen Varianten, wobei das verbindende Merkmal der eigentliche Holzschnitt ist. Das Unterscheidungskriterium manifestiert sich im ersten Schritt, die erste Schicht des Gemäldes. Man kann sie auch als das Gerüst der Komposition nominieren, den Untergrund auf dem das Narrativ schließlich aufgebaut wird, welches eben der Holzschnitt in Anspruch nimmt. Klassisch erfolgt, nach alter Schule, die Skizze um die Bildidee, den Inspirationsgedanken, wie Schanz dies nennt, festzuhalten. Diese überträgt er anschließend auf den Bildträger, Leinwand oder geeignetes Papier. Vieles ist bei dieser Technik des Combine Painting ist sicherlich  dem Zufall überlassen, ganz in der Tradition der automatistischen Malerei des Surrealismus, welchen Schanz zu seinen Wurzeln zählt, aber die Grundlage der Komposition benutzt dennoch dieses klassische Element in seiner Arbeitsweise. Als Beispiel für die automatistische Malerei sei hier die Frottagetechnik von Max Ernst zu nennen. Auf die Skizze folgt die Ausarbeitung, hierbei unterscheiden sich die drei Varianten.  Die erste Variante hat im ersten folgenden Schritt die grobe Anlage der Bildgestaltung in groben Zügen als Graffito, also mit Sprühfarben aus der Dose. Hierbei lässt sich schon in groben Zügen das fertige Werk erkennen, der Hauptbestandteil kommt jedoch erst. Dieser erfolg in Form des klassischen Holzschnittes. Er erfolgt nicht mit Druckerschwärze wie im üblichen Verfahren der Vervielfältigung, sondern mit Ölfarben. Diese werden mit Spezialpasten zuerst "druckfähig" gemacht und dann erfolgt als Handdruck auf die vorbereitete Leinwand. Das teilweise Abstoßen der Ölfarben auf der Lackfarbe des Graffitos ist gewollt und unterstützt so den Zufälligkeitscharakter dieser Technik. Nachfolgendes Gemälde ist ein klassischer Vertreter dieses Variante des Combine Paintings Schanzcher Prägung.

"56 Madonna" Combine Painting auf Leinwand, 100 cm x 70 cm, 2016

Das Bild mit Pop-Art Zitaten zeigt uns die US-Amerikanische Popsängerin Madonna im (Titel !) Alter von 56 Jahren. Deutlich zu erkennen sind die filigranen Strukturen des Holzschnittes, der mehr und wieder weniger stark geschwärzt ist. Ein interner Kampf der beiden Elemente der Farben zaubert eine Lebendigkeit, die einem förmlich zum "Hineingreifen" in das Gemälde verleitet. 

In der zweiten Variante wird im ersten Schritt eine Collage auf den Malgrund aufgebracht. Jedoch nicht im klassischen Sinn, Papierschnipsel werden aufgeklebt, sonder in einer Defrottage-Technik. Die Papierschnipsel aus Zeitungen und Zeitschriften werden hier zuerst auch auf die Leinwand aufgeklebt, jedoch mit einer Speziallösung getränkt und mit der Vorderseite nach unten. Nachdem das Konstrukt mit dem Föhn ausgiebig getrocknet wurde, wird nun mit reichlich Wasser und einem Schwamm das  Papier aufgelöst und weggerubbelt. Die entstandene Fläche wird nun mit lasierender Farbe übermalt und anschließend im letzten finalen Schritt wieder mit einem Holzschnitt, bzw. Holzschnittelementen bedruckt. Die beiden folgenden Leinwände sind in dieser Technik entstanden.

  

"Female distinction" Combine Painting, 50 cm x 70 cm, 2017
"Seamless Persuation" Combine Painting, 50 cm x 70 cm, 2017

In der dritten Variante, vom besprochenem Diptychon repräsentiert ist der erste Farbauftrag in Ölfarben mit gestischer Pinselführung aufgetragen und teilweise mit Rheinsand eingestreut. Darauf wiederum der Holzschnitt, der noch fragiler erscheint als in de beiden anderen Techniken. Der eminente Unterschied ist hier der doppelte Druck mit dem Holzstock in verschiedenen Farben.   

"Lemures"

Jedes der beiden Flügel ist mit je zwei Holzschnittenplatten bedruckt jeweils zweimal. Die bewusst beigeführten diffusen Farben bewirken Zerbrechlichkeit und Unbestimmtes, was zu erkunden den Betrachter auffordert auf eine Reise zu gehen in das innere Bildgeschehen. Viele Details erzählen dort ihre unterschiedlichen Geschichten. Der Künstler lässt bewusst einen immensen Interpretationsrahmen.Ist dort ein Seeigel zu erkennen, hat die Frau hat ein Vorhängeschloss vor dem Mund? Ist dies ein Hinweis auf die Corona Pandemie und die Gegenmaßnahmen, welche massiv die Grundrechte einschränken?  Der Künstler lässt es bewusst offen. Dies ist das Geheimnis seiner Malerei, er will nicht das plumpe Hinweisen auf bestimmte Dinge, er möchte den Betrachter eher sensibilisieren.

Geben uns die ursprünglichen Holzschnitte mehr Hinweise? Sicherlich, den sie sind bis ins Detail durch kombiniert. Entworfen und geschnitten aus echtem, massivem Lindenholz hat Armin Schanz diese bereits 1982. Es war für ihn die Zeit seiner Entwicklung zu der von ihm so benannten sensitivistischen Malerei. Nachstehend zwei erhaltene Skizzenblätter:



Skizze für Holzschnitt, 1982/3
Skizze für Holzschnitt, 1982/3

Nachstehend nun die originalen Abzüge der 4 verwendeten Holzschnitte. 

1. linker Flügel oben

2. linker Flügel unten

3. rechter Flügel oben

4. rechter Flügel unten

(1) "Molten realm" Holzschnitt auf Bütte, Nachdruck 2015 
(2) "Running with your brain" Holzschnitt auf Bütte, Nachdruck 2015 

(3) "The deserted kingdoms" Holzschnitt auf Bütte, Nachdruck 2015 

(4) "Distant words" Holzschnitt auf Bütte, Nachdruck 2015

Insgesamt zeichnen die Schnitte eine düstere Welt, sehr düster für einen 22-jährigen jungen Mann, der gerade sein Studium begonnen und bereits erfolgreiche Ausstellungen seiner Werke hinter sich hatte. Es würde zu weit führen eine düstere Aussicht auf die Zukunft in seine Gedanken zu implizieren, aber war diese Zeit nicht jene der nuklearen Aufrüstung im kalten Krieg. Schanz war Teil der damaligen Protestbewegung im Kampf gegen die totale nukleare Vernichtung der Erde. Diese Gedanken und Empfindungen des jungen Künstlers waren sicher seine Beweggründe uns in den Holzschnitten direkt in Dantes Inferno zu schicken. 

Im Jahr 2020, mitten in der Pandemie, sucht Schanz im den Tiefen seines Ateliers nach den alten Druckplatten um sie in seinen Combine Paintings mit neuem Leben zu erfüllen. Mit den Lemures, den Schattengeister der Toten, die die Szenerien der alten Schnitte in ein diffuses Licht tauchen, sie schimmern lassen, werden sie aktueller den je. Die Bedrohungen der Menschheit sind immer aktuell, sie wechseln ihre Farben und Erscheinungen, ihre Namen, doch sie bleiben in Stellung. Es ist an uns sie zu sehen, die Schattengeister eben. 

Analyse der Holzschnitte

Holzschnitt 1: Er zeigt uns einen Menschen hinter Gitterstäben, einen Gefangenen, die Gesichtszüge evozieren eine Frau, und tatsächlich ist sie mit Ketten geknebelt, welchen die Intension des Verschlossenen hervorrufen. Sie ist mundtot gemacht in ihrem Gefängnis. Bezeichnend ist auch das Brett, welches man ihr vor den Kopf geklemmt hat. Ein Bild mit zeitloser Symbolik. 

Holzschnitt 2: Während die Szenerie im ersten Holzschnitt noch in einem realen dreidimensionalen  Raumkontext steht, befindet sich die Szene hier in einem mataphysischen Rau, der an Giorgio de Chirico erinnert. Im Vordergrund zwei Gesichter mit Halbmasken, beide haben ihre Zungen herausgestreckt. Die Zungenspitzen berühren sich jedoch nicht, wie man es erwarten könnte, denn dies wird unterbunden durch einen Seeigel, der zwischen den beiden im mretaphyisisch leeren Raum schwebt.

Holzschnitt 3: Hier steht nun endgültig Raum und Zeit auf dem Kopf, die Protagonistin der Szene hat ihren Halt verloren, mental psychisch wie physisch löst sich der Raum auf. Architekturelemente, welche die griechische Antike evozieren und uns dennoch in die Irre führen, treten in Intellektuelle  Diskrepanz mit einen mittelalterlichen Folterbock, vor dem eine schmucke Ritterrüstung scheinbar schwerelos schwebt. Die Protagonistin mit asiatisch anmutenden Gesichtszügen trägt ein Lederkostüm welches an ein S/M-Studio erinnert und treibt das verworrene Spiel an.

Holzschnitt 4: Wieder eine metaphysische Architektur. Dominierend  im Erscheinungsbild der Szene ist eine Frau, besser gesagt ihr Unterleib, auffallend ist, sie hat ihre Strümpfe mit schweren Eisenketten an ihrem Strumpfhalter befestigt. In einem Dachgiebel ist eine Venusmuschel eingeschlossen. Die Venusmuschel, das Symbol für die Aphrodite, die Göttin der Liebe in der griechischen Mythologie. Sie ist in das Dreieck des Dachgiebels eingeschlossen Die Liebe unter Verschluss? Oder ist dies eine Abwandlung des Auges Gottes? Ist Gott eingeschlossen. Ein Bild mit apokalyptischer Dimension zeigt sich in diesem Holzschnitt. Für den 22-jährigen Künstler eine Vorahnung auf apokalyptische Ereignisse, die noch folgen sollen, Tschernobyl, Fokuschima und last but not least die Corona Pandemie?   

 



   

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